Warum Kuoni am digitalen Wandel gescheitert ist

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Kuoni RIP

Als die Kuoni-Gruppe 2015 ihr traditionelles Reisebüro- und Tour Operating-Geschäft an die deutsche REWE Gruppe verkaufte, löste sie damit viel Unverständnis und, ja, sogar Trauer aus: Für viele Schweizer war Kuoni das Synonym für «Reisebüro» schlechthin; ein nationales Symbol ähnlich wie Toblerone oder Swissair. Nun teilte auch Kuoni deren Schicksal, ins Ausland verkauft worden zu sein. Die Entscheidung war höchst unpopulär und auch für den Verwaltungsrat politisch schwierig zu verteidigen. Man munkelt deshalb, sie habe neben finanziellen Problemen wesentlich zur Entlassung von CEO Peter Meier am 5. November 2015 beigetragen. Die Verkaufsentscheidung wurde weithin als das ultimative Eingeständnis des Scheiterns angesehen. Und genau das war sie auch. Und genau darum war sie auch mutig. Und sie war korrekt.

Tatsächlich war ein Verkauf die einzige verbliebene Option nach 15 Jahren des kontinuierlichen Niedergangs und vieler erfolgloser Turn-Around-Versuche.

Der Verkauf schien viele überrascht zu haben, die immer noch von Kuoni’s schöner Marke und langer Geschichte beeindruckt waren. Es war aber ein schon lange überfälliger Schritt. Das erste mal wurde ein Verkauf vor über 10 Jahren vom damaligen CEO Armin Meier vorschlagen, er konnte sich damit aber im Verwaltungsrat nicht durchsetzen.

Ich versuche in diesem Artikel die Gründe für Kuoni’s Niedergang in den letzten 15 Jahren zu identifizieren und warum Kuoni an der digitalen Transformation gescheitert ist. Ich mache dies mit der Absicht, nützliche Lektionen für andere Firmen mit ähnlichen Herausforderungen zu extrahieren. Es geht mir nicht darum, jemandem die Schuld zuzuweisen. Immerhin war auch ich ein Teil der gescheiterten Reform-Bemühungen.

Dies sind die Gründe aus meiner Sicht:

Das Nicht-Erkennen einer sich verändernden Markt-Dynamik

Kuoni’s Reisegeschäft wurde Anfang des letzten Jahrhunderts von Alfred Kuoni gegründet, um begleitete Reisen zu organisieren, so z.B. die erste organisierte Fernreise aus der Schweiz, zu den Wundern Ägyptens. Solche Reisen waren im Jahr 1906 mangels touristischer Infrastruktur noch ein riskantes, anstrengendes und unbequemes Abenteuer. Sie waren nahezu unmöglich auf eigene Faust zu machen.

Der Kunden-Mehrwert, den Alfred Kuoni mit der Organisation und Reisebegleitung schaffte, war enorm. Seine Reisen waren daher naturgemäss teuer und blieben für lange Zeit nur einer schmalen, wohlhabenden Schicht zugänglich.

Reisen war damals tatsächlich noch ein Luxus-Gut. Darin nahm die Reputation der Marke Kuoni als qualitativ hochwertiger und exklusiver Reiseveranstalter ihren Ursprung.

Derart organisierte Explorations-Rundreisen blieben Kuoni’s Kerngeschäft bis zum Beginn des Flug-basierten Massentourismus in den 1960er Jahren, der durch die Kommerzialisierung des Düsenjets und in der Folge immer kürzere Flugzeiten und immer billigere Flugpreise möglich wurde. In den folgenden Jahrzehnten wurden Flugreisen – in der Regel einfach gestrickte Badeferien oder Städtereisen – zu einer unvergleichlichen Erfolgsgeschichte.

Auch die Firma Kuoni wandelte sich in den 70er Jahren zum sehr erfolgreichen Anbieter von solchen Massentourismus-Ferien.

Obwohl Kuoni und andere Reiseveranstalter sich immer noch als «Tour Operator» bezeichneten, organisierten sie immer weniger geführte Touren, sondern vermittelten vielmehr zwischen dem Angebot von Hotels und Fluglinien auf der einen und Reisenden und Reisebüros auf der anderen Seite. Als Mittelmann stellte Kuoni die sogenannte «Produktion» zwischen das Angebot und die Nachfrage.

Die Produktion beinhaltete dabei den Gross-Einkauf von Flügen und Hotel-Kapazitäten (häufig auf Risiko, also auf Vorauszahlung), das Paketieren von Flug und Hotel mit einem Flughafen-Transfer sowie einer stationären «Reiseleitung» am Ziel-Ort, das Pricing des Pakets und den Druck von Hochglanzkatalogen zum Verkauf im Reisebüro. Kuoni, und auch alle anderen grossen Anbieter, spezialisierten sich im Rahmen solcher «Paket- oder Pauschalreisen» auf Badeferien im Mittelmeer, weil hier die grösste Nachfrage und das grösste Wachstum bestand. Auf diese Weise betrieb man das Geschäft für über 30 Jahre und war sehr erfolgreich damit.

Leider lag genau in diesem System und der darin begründeten Pauschalreise-Produktions-Kultur auch die Wurzel von Kuoni’s Unvermögen, sich später einem sich verändernden Umfeld anzupassen.

Um das Jahr 2000 begann sich der Reisemarkt dramatisch zu verändern: Hotels und Fluglinien gingen online, reine Online-Reisebüros wie Expedia, Ebookers oder travel.ch kamen auf, TripAdvisor wurde gegründet. Die Bedeutung dieser Veränderungen für die Kunden war enorm: Plötzlich war es Kunden möglich, Flüge und Hotels online zu suchen und zu buchen, und das selbständig und bequem von zuhause aus.

Gleichzeitig gab es plötzlich eine zuvor ungekannte Preistransparenz, die zu einem dramatischen Preis-Kampf führte, dem die Margen rasch zum Opfer fielen. Bald hörten die grossen Airlines sogar damit auf, Kommissionen für das Verkaufen von Flügen zu bezahlen und attackierten damit frontal das Ertragsmodell der ganzen Tour-Operator-Industrie. In der Konsequenz war die Online-Buchung von Flügen und Hotels für die Kunden nicht nur einfacher und bequemer, sondern auch billiger.

Die Online-Plattformen boten ganz einfach eine überlegene Value Proposition im Vergleich mit der alten Produktionsart des Tour-Operator/Reisebüro-Systems.

Das galt mindestens für individuelle Flug- und Hotelbuchungen und im aller Mindesten für einen kleinen, extrem Reise-erfahrenen und hoch-fragmentierten Markt wie der Schweiz.

Wenig verwunderlich sanken Kuoni’s Umsätze im Tour Operating-Geschäft ab dem Jahr 2000 so kontinuierlich, dass man mit einem abwärtsgerichteten Lineal verlässliche Umsatzprognosen machen konnte. In den Geschäftsberichten war das natürlich nie direkt ersichtlich, weil man die Entwicklung über die Akquisition vieler kleiner Anbieter, Umstrukturierungen sowie teilweise absurder Price-Dumping-Massnahmen verschleiern konnte. Für viele Jahre hatte das Management allerdings selber nicht realisiert, welches die Ursachen hinter dem Niedergang waren. Stattdessen wurden Jahr für Jahr neue Ausreden gefunden: 9/11, Vulkanausbrüche, Terrorattacken in Ägypten, der Markteintritt grosser Deutscher Konkurrenten, und wenn in einem Jahr einmal nichts besonderes passierte, dann war halt ein speziell sonniger Winter schuld, der den Leuten die Lust am Reisen genommen haben sollte.

In Tat und Wahrheit verreisten die Menschen Jahr für Jahr mehr, und zwar mit einem ebenso verlässlichen Trend nach oben, wie Kuoni’s Umsätze nach unten zeigten, aber eben immer weniger mit Kuoni.

Kuoni hatte während Jahren nicht erkannt, dass dieser Entwicklung massive Veränderungen des Kundenverhaltens und der Marktdynamik zugrunde lagen, welche die Spielregeln auf den Kopf stellten, nach denen Kuoni immer noch spielte.

Kuoni’s Preise, welche wegen der gedruckten Kataloge und der Verhandlungs-Zyklen über eine ganze Saison hinweg gültig sein mussten, waren wegen ihrer Starrheit immer häufiger nicht mehr konkurrenzfähig. Das immer dynamischere Preis- und Kapazitäts-Management von Hotels und Airlines führte zu – für das alte System – unmöglich billigen, nur online verfügbaren Sonderangeboten. De facto wurde die ganze Logik des Last-Minute-Pricing-System von «Frühbucher-Rabatt – Regulär-Preis – Last-Minute Discount» auf diese Weise vaporisiert. Zudem vernichteten die immer volatileren Wechselkurse mehrfach in kürzester Zeit Millionenwerte, da Kuoni auf zu teuer eingekauften Hotel-Kapazitäten sitzen blieb.

Die Konsumenten gewöhnten sich in kürzester Zeit an die vollständige Dynamisierung des Reisemarktes und profitierten davon. Sie lernten schnell, dass sie jederzeit irgendwo einen guten Preis finden würden, was zu sehr viel heterogeneren, viel weniger planbaren Buchungs-Mustern führte. Kuoni hingegen fand sich damit mit Herausforderungen konfrontiert, welche das alte Tour-Operating-System nicht mehr bewältigen konnte, weil dessen starre Funktionsweise inhärent den Markt-Erfordernissen zuwider lief.

Das Nicht-Verstehen der Natur des digitalen Geschäfts  – Oder: Als Kuoni booking.com hätte kaufen können

Als Kuoni endlich die extremen Wachstumsraten im Online-Geschäft realisierte, das Mitte der 2000er-Jahre bereits einen signifikanten Anteil im Gesamtmarkt annahm, wurde auch bei Kuoni «online gehen» zur Top-Priorität gemacht, eigentlich mit der Absicht eine digitale Transformation einzuleiten. Um das fehlende Digital-Wissen zu kompensieren nominierte man den vormaligen Easyjet CEO Ray Webster in den Verwaltungsrat und engagierte Armin Meier mit einem soliden Leistungsausweis im Technologie-Management als CEO. Auf tieferen Ebenen wurden diverse «Head of eCommerce» oder «Head of Online» eingestellt.

Gerüchten zu folge landete im Jahr 2004 das Angebot einer zum Verkauf stehenden niederländischen Online-Reisefirma auf dem Tisch des Managements. Diese Firma war mit einem neuen Geschäftsmodell gegen das Establishment angetreten: Im Gegensatz zu anderen (online) Reisebüros, die ihre Hotels über den Zwischenhandel bezogen, eliminierte diese Online-Firma den Zwischenhandel gleich vollständig. Sie gingen persönlich zu den Hotels, um Verträge abzuschliessen und sie danach direkt an ihr Buchungs-System anzuschliessen und mit einem Preisvorteil zu verkaufen. Es handelte sich um Booking.com.

Zugeschlagen hatte am Ende Priceline. Der Rest ist Geschichte: Für läppische 135 Millionen Dollar gilt die booking.com-Akquisition als der profitabelste Deal in der Geschichte der Reisebranche. (Zum Vergleich: Kuoni zahlte 2011 für den strategisch schlechter aufgestellten Zwischenhändler GTA mehr als fünf mal so viel).

Ob die Geschichte wahr ist oder nicht; sie ist auf jeden Fall plausibel. Und selbst wenn Kuoni booking.com damals gekauft hätte, Kuoni wäre eine schlechte Eigentümerin gewesen und wahrscheinlich wäre es nie zur Erfolgsgeschichte geworden, die es heute ist.


UPDATE 17/01/2017

Ich lernte von einem Journalisten, der die obige Anekdote nach der Lektüre dieses Posts recherchiert hat, dass sich die Geschichte in Tat und Wahrheit etwas anders zugetragen hatte:

Es war im Jahr 2006, NACHDEM die Priceline-Gruppe booking.com erworben hatte, dass die Priceline-Gruppe auf Kuoni zugegangen ist, um einen “Merger of Equals” zu diskutieren, d. H. sie wollten eine Bewertung von Priceline erreichen, welche derjenigen von Kuoni entsprach, die damals bei rund 2 Milliarden Dollar lag. Kuoni weigerte sich jedoch Verhandlungen aufzunehmen. Heute ist die Priceline-Gruppe 78 Milliarden Dollar wert.


Die Organisation versagte immer und immer wieder darin zu erkennen, nach welchen Gesetzmässigkeiten erfolgreiche digitale Geschäftsmodelle funktionierten.

Die Produktionskultur des alten Tour Operating-Systems aus den 1970er-Jahren war dafür einfach zu dominant und ihre Repräsentanten intern zu mächtig. Dieses Versagen begann zu aller oberst, bei Verwaltungsrat und Gruppengeschäftsleitung, die für die Strategie verantwortlich waren. Ein Beispiel: Der Verwaltungsrat gab die Order, dass der «Online-Absatz» gesteigert werden sollte. Die Gruppengeschäftsleitung übersetzte das dann in «Online Absatzziele» für ihre Einheiten.

Dahinter steckte eine Annahme, die grundlegend falsch war, nämlich dass die Organisation einfach weiterhin das tun konnte, was sie immer schon getan hatte, und es einfach besser online absetzen musste.

Die Online-Umsatzziele von Verwaltungsrat und Gruppengeschäftsleitung sind das Paradebeispiel dafür, wie Kuoni Digital als Sales-Kanal missverstanden hat.

Was die Unternehmensspitze de facto gemacht hatte, war die Verantwortung für eine Digital-Strategie immer weiter nach unten zu delegieren. Dabei wäre genau sie in der Verantwortung gestanden, eine solche Strategie vorzugeben.

Die Organisation setzte fortan alles daran, ihre alten «Produkte» auf digitalen Kanälen zu verkaufen. Aber diese Produkte waren ganz einfach nicht dafür gemacht, online verkauft zu werden: Weder die Prozesse, die Systeme noch die Produkte selber konnten die Vorteile des digitalen Kanals nutzen und die Kundenerwartungen befriedigen. Erschwerend kam hinzu, dass die Stärkung des digitalen Kanals auf massiven internen Widerstand stiess, gerade weil die Umsätze derart stark von Offline-Reisebüros als primärem Distributionskanal abhängig waren. Diese Reisebüros wie auch die internen Verantwortlichen sahen «Online» als konkurrierenden Verkaufskanal, der die Haupteinnahmensquelle kannibalisieren würde. Die Lösung des Managements für das Dilemma war, Online als Profit Center aufzusetzen (das allerdings primär am Umsatz und nicht am Gewinn gemessen wurde). Dahinter steckte die klassische Überlegung, dass man über eine Abschluss-Incentivierung die E-Commerce-Leute am Besten motivieren konnte und sich zudem nicht mit den Offline-Verantwortlichen anlegen musste. Intern wurde der Online-Vertrieb also ganz einfach als eine weitere Filiale gemanagt. Und da deren Umsätze nie über ein marginales Mass hinaus stiegen, hatte sie auch nie etwas zu sagen. Online war ja offensichtlich nicht wichtig. Was zu beweisen war…

Leider machte es dieses Governance-Setup komplett unmöglich, dass jedwelcher digitaler Wandel im Gesamtgeschäft passieren konnte. So wurden zu keinem Zeitpunkt ernsthafte Anstrengungen unternommen, funktionierende digitale Geschäftsmodelle aufzubauen, oder auch nur schon zu identifizieren.

«Online gehen» wurde bestenfalls halbherzig gemacht. Mit Kuoni auf einem digitalen Kanal zu interagieren war während der ganzen 2000er Jahre eine schreckliche, schreckliche Erfahrung, meiner Meinung nach – abgesehen von einigen Marketing-Websites – bis zum heutigen Tag.

Das Unvermögen, sich auf Kunden-Wertschöpfung zu fokussieren

Die sinkenden Umsätze machten klar, dass Kuoni’s Fähigkeit für ihre Kunden Wert zu schaffen, von Jahr zu Jahr dahinschmolz. Jedoch wurde intern nicht verstanden, wo die Wurzeln des Problems lagen. Verschiedenen Personen und Dingen wurde die Schuld zugeschoben: Starre IT-Systeme, unkooperative Hotelketten, welche Kuoni keine Preisvorteile mehr zugestehen wollten, zu wenig aggressive Marketing- und Sales-Teams, und immer auch; die armen Verantwortlichen für den «Online-Vertrieb», die ja doch dafür verantwortlich waren, die «Online Sales zu pushen».

Das tatsächliche Problem lag darin, dass die Organisation im Allgemeinen und die verantwortlichen Manager im Speziellen nicht verstanden (oder falsch vermuteten), wo sie immer noch Mehrwert für Kunden generieren konnten.

In der Folge rannten die Mitarbeiter in verschiedenste – oft entgegengesetzte – Richtungen und probierten diverse Aktivitäten und Projekte aus. Je mehr sich die Organisation aber verhedderte, desto schlechter wurde die Wertschöpfung zusammen mit der Customer Experience.

Um ein Beispiel für den Mangel an Fokus zu geben: Als ich 2008 zu Kuoni stiess wurde gerade ein grosses Change-Programm losgetreten, um Kuoni «kundenorientierter» zu machen. Das Programm bestand – über die Gruppe hinweg – aus diversen Projekten in vielen Bereichen. Die Absicht war gut und richtig und Kuoni hatte mehr Kundenorientierung in der Tat bitter nötig, aber das Programm gab keine Richtung für den Change vor. Der vagen Idee der Kundenorientierung konnte der einzelne Mitarbeiter nicht direkt folgen. Schlimmer noch: Das Management war nicht willens, den Schlussfolgerungen zu folgen, welche die Marktforschung im Rahmen des Programms nahe legte. Ich erinnere mich an ein symptomatisches Townhall-Meeting, wo das ganze obere und mittlere Management von Kuoni Schweiz, damals immer noch die grösste Länder-Einheit, die Frage der «Value Proposition» diskutierte. Der Konsens der versammelten Manager war, dass Kuoni’s Value Proposition aus zwei Elementen bestand:
1. Convenience, weil die Reisen ja paketiert waren, und
2. Sicherheit, weil jemand da war, falls es während der Reise Probleme geben würde.

Diese Einschätzung war entgegen besseren Wissens, da die Marktforschung ein eindeutig anderes Bild zeichnete: Wenn die Leute Covenience wollten (was zusammen mit einem günstigen Preis die Kauf-Entscheidungen von Standard-Produkten wie Badeferien vollständig trieb), dann buchten sie ihre Flüge und Hotels online oder – einen Preisvorteil vorausgesetzt – ein Paket bei einem grossen Veranstalter.

Kuoni hatte aber mittlerweile weder die kritische Masse mehr, um das Preis-Mengen-Spiel der grossen Tour Operator zu spielen, noch die «leane» Matching-Kompetenz der Online-Reisebüros wie booking.com.

Sicherheit auf der anderen Seite war nur ein marginales Argument für die grosse Mehrzahl der Reisen, die nach Europa und vor allem ans Mittelmeer führten. Sicherheit war aber dann wichtig, wenn es um Reisen an exotische, in der Regel weit entfernte Destinationen ging, die sich die Leute nicht trauten, alleine zu bereisen. Für solche komplexen Reisen würden die Leute weiterhin auf einen Reiseexperten zurückkommen, der ihnen eine gute Beratung, vielleicht einen kompetenten Führer vor Ort, sowie einen persönlichen Kontakt für den Fall der Fälle bot.

Die Marke Kuoni wäre prädestiniert gewesen, solche hochwertigen Reisen anzubieten. Genau solche Reisen waren es schliesslich, mit denen Kuoni während dem grösseren Teil des letzten Jahrhunderts gross geworden war und die Marke gabe es immer noch her. Tragischerweise war diese Kompetenz aber seit den 1970er-Jahren unter die Räder der Pauschal-Tourismus Produktionsmaschine gekommen. Die Organisation hatte es zwischenzeitlich nahezu vollständig verlernt, komplexe Reisen zu produzieren und zu vertreiben und die wenigen, die sie noch im Angebot hatte, waren allesamt outgesourced, was zusätzlich zu unverzeihlichen Qualitätsproblemen führte. Noch in den 2000er-Jahren hallte die verheerende Maxime des charismatischen Kuoni-Chefs Hans Lerch durch die Gänge:

«Kuoni ist ein Fliessband ins Mittelmeer. Was links und rechts davon ist, interessiert uns nicht.»

Kuoni war mittlerweile weder Fisch noch Vogel und war unfähig, sich für das eine oder andere zu entscheiden.

Das Unvermögen, unterschiedlichen Geschäftsmodellen Rechnung zu tragen

Die obige Sachlage war für Aussenstehende sonnenklar, welche die Situation analysierten. Z.B. haben Strategieberater von sowohl McKinsey wie auch Roland Berger strukturelle und strategische Änderungen vorgeschlagen, welche sich in neuen «Business Units» auf der obersten Ebene manifestierten. Leider änderte sich wenig bis gar nichts auf den tieferen Ebenen. Die Organisation steckte immer noch Badeferien, Einzelkomponenten aber auch komplexe Reisen in Hochglanz-Kataloge (die anspruchsvollen Reisen immer am Ende, weil die ja am schwierigsten zu verkaufen waren…). Immer noch blieben dieselben Leute an der Macht und immer noch ärgerten dieselben Systeme Kunden wie Mitarbeiter zugleich.

Um die Situation an der Technik-Front zu ändern wurden dann in einem Kraftakt viele Duzend Millionen Schweizer Franken in einem neuen Gruppen-weiten Buchungssystem verbrannt. Dieses war von Anfang an eine Fehlkonzeption:

Das neue Buchungssystem sollte komplett unterschiedliche Geschäftsmodelle mit teilweise diametral unterschiedlichen Business Requirements in einem einzigen IT-System vereinen.

Einige der Businesses waren rein transaktional und stark online getrieben, wo es primär um Geschwindigkeit und einen billigen Preis ging. Andere waren zutiefst relationaler Natur, wo es auf persönlichen, massgeschneiderten Service, hohe Qualität und Flexibilität ankam. Schon die Idee, diese unterschiedlichen Einheiten auf eine einzige Plattform hieven zu wollen, zeugte von Unverständnis für die in der Firma existierenden unterschiedlichen Geschäftsmodelle.

Was Kuoni stattdessen hätte machen sollen, war die unterschiedlichen Value Propositions zu identifizieren.

Die Kuoni-Gruppe verfügte tatsächlich immer noch über viele Aktivitäten, welche für dedizierte Kundengruppen Wert schöpften.(z.B. Experten-Beratung, organisierte Familien-Ferien, Entdeckungsreisen an exotische Orte), um welche man ebenso dedizierte Geschäftsmodelle hätte formieren sollen, z.B. Reiseberatung (vorgemacht z.B. von Globetrotter oder Travel Counsellors), Familienferien (vorgemacht z.B. von Vamos) oder spezialisierte Rundreisen (vorgemacht z.B. von Intrepid).

Diese Geschäftsmodelle hätten dann transformiert und auf eine neue IT-Infrastruktur gebracht werden können, um sie danach wieder zu neuem Wachstum zu führen.

Da Kuoni aber unfähig war, die Grenzen zwischen unterschiedlichen Geschäftsmodellen sauber zu ziehen, war es schlicht unmöglich, das komplexe Gebilde von historisch gewachsenen Organisations-Strukturen, Prozessen, IT-Systemen und Manager-Macht zu transformieren.

Die Lehre aus der Geschichte

Die Entscheidung von CEO Peter Meier die Tour Operating Aktivitäten zu verkaufen war ein trauriger, aber richtiger und überfälliger Schritt. In der gegebenen Situation und mit der kulturellen und systemischen Erblast behaftet, blieb leider keine andere Option übrig, als aufzugeben und sich einzugestehen, dass ein Turn-Around mittlerweile schlicht nicht mehr möglich war.

Falls es nur eine einzige Lektion gäbe, die man aus der Kuoni-Geschichte ziehen könnte, dann würde ich sagen, es ist diese:

Die obersten Verantwortlichen einer Organisation müssen zwingend verstehen, wie und wo ihr Geschäft Wert für Kunden schöpft und ihre Organisation mit harter Hand darauf ausrichten. Sie müssen ebenso zwingend verstehen, nach welcher Logik digitales Geschäft funktioniert. Andernfalls endet jede (digitale) Transformation in einem Desaster.

 


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Weiterlesen:

>> Digitale Strategie statt Digitalstrategie

>> A digital transformation guide for business leaders (Englisch)

>> Über mich

 

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